Energie, Klima, Material
- Panel 6.1: Zwei-Grad-Ziel – Kann denn Bauen Sünde sein?
-
Auf dem Panel:
Prof. Dr. Felix Creutzig, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Technische Universität Berlin, Sabine Djahanschah, Deutsche Bundesstiftung Umwelt, Andrea Gebhard, mahl gebhard konzepte Landschaftsarchitekten und Stadtplaner, Prof. Dr. Niko Paech, Universität Siegen, Andreas Kuhlmann, Deutsche Energie-Agentur (dena)Moderation:
Monika Remann, Agentur für nachhaltiges BauenEssenz:
- Darauf hinwirken, dass Lebensstile verändert werden.
- Architektur der Zukunft muss darauf ausgelegt sein, den Bestand zu optimieren.
- Grün- und Freiräumen größeren Stellenwert beimessen, sie als produktiven Ort entwickeln.
Bericht:
Suffizienz und Resilienz als wesentliche Funktion zukünftiger Architektur: Was haben Architektinnen und Architekten noch zu tun, wenn nicht mehr neu gebaut wird? Mehr als genug, denn der Bestand braucht neue Lösungen. Das Zwei-Grad-Ziel ist seit etwa 20 Jahren auf der politischen Agenda. Besonders publik geworden ist es auf der Klimakonferenz in Paris: Die globale Erderwärmung darf im Vergleich zur vorindustriellen Zeit nicht mehr als zwei Grad betragen. Was hat das mit dem Berufszweig zu tun? Bereits vor 10 Jahren gab es das Klima-Manifest des BDA „Vernunft für die Welt“, gewissermaßen als Selbstverpflichtung für den Berufsstand. Daran möchten wir heute gern anknüpfen und fragen: Was ist eigentlich in der Vergangenheit passiert? Welche Erkenntnisse haben wir gewonnen? Kann Bauen Sünde sein bei der Verfolgung des Zwei-Grad-Ziels? Es gibt keine Erkenntnisprobleme, aber es ist viel zu tun, was die Umsetzung angeht.Niko Paech: Bauen ist eine Sünde, vor allem, wenn es um Neubau geht. Jeder weitere Quadratmeter Wohnfläche, der durch Neubau erschlossen wird, stellt eine ökologische Katastrophe dar. Die unverschämte Idee der Wohnungsnot in Deutschland gehört auf den Prüfstand. Doch leider herrscht der Wettlauf, immer mehr zu bauen und noch mehr Fläche zu versiegeln. Wo bleibt der Aufschrei, der nötig ist, um Politik und Gesellschaft zu verdeutlichen, dass es keinen Neubau braucht? Es gibt kein Menschenrecht darauf, in Berlin-Mitte zu verträglichen Preisen zu wohnen.
Was also ist die Lösung? Die Architektur der Zukunft kann nichts anderes sein als der Versuch, vorhandene Bestände zu optimieren, zu sanieren und neue Konzepte des Zusammenlebens zu ermöglichen, außerdem verdichtete Wohnnutzungen, kurze Wege und Gemeinschaftsnutzungen sicherzustellen. Die meisten Architektinnen und Architekten jedoch verdienen ihr Geld mit Neubau. Obwohl dieser Missstand einerseits beklagt wird, wird andererseits nicht dafür plädiert, dass dann zumindest Passiv-, Null- oder Plusenergiehäuser in Holz gebaut werden. Dafür macht sich offensichtlich niemand stark.
Klimaschutz ist ein globales Verteilungsproblem. Wenn wir das Zwei-Grad-Ziel einhalten wollten, würde das bedeuten, dass jeder von uns nur noch eine Tonne CO2 freisetzen dürfte. Welche Beiträge leisten Architektinnen und Architekten dafür, dies zu verwirklichen?
Sabine Djahanschah: Die Position der Suffizienz teile ich. Ich bezweifle aber, dass gesellschaftliche Weiterentwicklung und Innovation ohne jeglichen Neubau möglich ist. Klar ist: der Ressourcenverbrauch explodiert. In China ist in den letzten drei Jahren mehr Zement verbraucht worden als in den USA im vergangenen Jahrhundert.
Wir müssen weiterentwickeln, weiternutzen und verdichten. Natürlich muss der Energieverbrauch gesenkt werden, gleichzeitig müssen wir auch über Urban Mining reden. Wie können wir unsere Gebäude zu Rohstofflagern machen?
Wir müssen weg vom Konzept separater Energiekonzepte und Haustechnikerinnen und -techniker. Klimaschutz bedeutet nicht „noch mehr Gebäudetechnik“. Es gibt viele passive Möglichkeiten. Architektinnen und Architekten sollten mehr Verantwortung übernehmen. Mehr ganzheitliches Nachdenken ist erforderlich.
Andreas Kuhlmann: Was ist in den knapp 30 Jahren nach Rio schiefgegangen? Seit 1992 wurde mehr CO2 ausgestoßen als bis dahin. Ich glaube, dass wir Demokratie und liberale Gesellschaften brauchen, wenn wir zu guten Lösungen kommen wollen. Ich vermisse dieses Statement in manchen Diskussionen. Es geht darum, wie wir die heute zu Verfügung stehenden Technologien und Stadtkonzepte nutzen, um nachhaltiges Bauen und Umbauen so hinbekommen, dass wir alle gut leben können. Wir sind umgeben von Milliarden Tonnen Materialien (Urban Mining). Wir müssen stärker über den Prozess „cradle to cradle“ nachdenken. Mein Votum an dieser Stelle ist es, ganzheitlicher zu denken. Architektinnen und Architekten müssen zusammen mit Stadtplanenden und denjenigen arbeiten, die sich mit integrierter Energiewende beschäftigen.
Andrea Gebhard: Wie kann es uns gelingen, das Aufheizen der Stadt zu verhindern? Was sind die Möglichkeiten? Es gibt viele Instrumente, z.B. den Landschaftsplan. Wir müssen in die großen Zusammenhänge gehen. Wie sieht die Doppelte Innenentwicklung aus? Die Möglichkeit, Bäume in der Stadt zu pflanzen, nimmt immer mehr ab. Wie gehen wir mit der Feuerwehr um? Vielleicht müssen wir teurer bauen, um ein zweites Treppenhaus zu ermöglichen und dadurch Freiräume zu gewährleisten
Arbeiten 4.0: Künftig werden Lebensmittel auch wieder in der Stadt produziert. Dächer können nicht nur als Dachgärten sondern auch als Produktionsstätten genutzt werden. Integrierte Ansätze müssen überall gedacht werden.
Wir brauchen ein Landschaftsentwicklungsprogramm im ganzen Land. Wälder sind klimasenkend. Wir brauchen Aufforstung und eine nachhaltige Veränderung der Landwirtschaft.
Felix Creutzig: Die Sache ist dramatischer als man liest. In Deutschland müssten wir eigentlich gegen 2035 keine Emissionen mehr ausstoßen dürfen. Müssen wir überhaupt noch bauen und wenn ja, wie? Sind Zement und Stahl noch vertretbar? Ja, es gibt eine Zementbauweise, die mit weitaus weniger CO2 auskommt. Aber die Ersparnis wird durch den Rebound-Effekt wieder zunichte gemacht.
Es gibt gerade eine sehr hohe monetäre Liquidität. Das Geld muss irgendwo hin. Deswegen wird viel gebaut, sozusagen hausgebautes Kapital. Das ist ein Makroproblem, das mit Architektur selbst erst einmal nichts zu tun hat.
„Wohnen“ sollte als Dienstleistung gesehen werden. Welche Designmöglichkeiten gibt es überhaupt in der Umsetzung, ohne CO2 auszustoßen?
Es ist wichtig, politische Forderungen zu stellen.
Andreas Kuhlmann: Wir sprechen heute von der integrierten Energiewende, die Sektoren müssen zueinander gebracht werden. Für welches Menschenbild wollen wir in Zukunft Städte planen? Verdichtete Städte sind besser, aber das muss vor allem gesellschaftspolitisch umgesetzt werden. Wir müssen mehr über Ressourcen reden. Warum reden wir nicht öfter über gute Beispiele? Standards müssen verändert werden. Nur darauf zu warten, dass sich die Dinge in den nächsten 20, 30 Jahren verändern, reicht nicht aus. Wir müssen stärker über städteplanerische Standards sprechen.
Andrea Gebhard: Bislang dürfen Satzungen nur zur Gestaltung erlassen werden, nicht zur Ökologie. Wir brauchen neue Satzungen, die den Städten festschreiben, wie viel zu begrünen ist. Das 5-Hektar-Ziel für Bayern und das 30-Hektar-Ziel für den Bund muss fest verankert werden.
Sabine Djahanschah: Wir bewegen uns viel zu wenig in wirklichen Transformationsbrüchen. Schulen etc. werden zwar saniert, doch wir müssen eigentlich andere Lebensstile erfinden. Momentan gibt es überhaupt kein entsprechendes Angebot für innovative Mischnutzungen, die neue Lebensformen ermöglichen. Es gibt ein paar Projekte, aber noch längst nicht flächendeckend. Das Thema muss anders in die Gesellschaft eingebracht werden. Wir haben zu wenig spannende, wirklich neue Konzepte.
Wir müssen die planetaren Leitplanken beachten. Beim Artenschutz und Ernährung gibt es noch viel gravierendere Probleme. Ich wünsche mir viel radikalere Konzepte.
Dadurch können andere kreative Potenziale freigesetzt werden. In der Schweiz wird beispielsweise ganz anders auf bestehende Einfamilienhausgebiete geschaut. Da geht es nicht nur um Sanierung, sondern auch um andere Lebensstile und Lebensformen.
Niko Peach: Problematisch ist in meinen Augen der Rebound-Effekt. Alle technologischen Fortschritte wurden und werden durch die Vergrößerung der Wohnfläche aufgefressen. Die Lösung: Wir brauchen den Stopp des Neubaus. Jeder Quadratmeter Wohnfläche verbraucht wahnsinnig viel Energie. Ich würde gar von Rückbau reden. Sogar der Rückbau muss ein Thema werden, um die Stadtökologie zu fördern. Die Nachverdichtung in den Metropolen ist keine Option. Wir müssen den Menschen durch positive Beispiele zeigen, dass man mit weniger Wohnraum auskommt (Verweis auf das Buch von Daniel Fuhrhop). Die Gemeinschaftsnutzungen von Räumen und Geräten können zu enormen Einsparpotenzialen und einem anderen sozialen Miteinander führen. Der Aufruf an die Architektinnen und Architekten lautet: Der kulturelle Wandel wird nicht aus Berlin oder Brüssel kommen, sondern von Ihnen. Seien Sie Störenfriede und schwimmen Sie gegen den Strom! Solche Störenfriede machen den Unterschied.
Felix Creutzig: Entweder man nimmt das Zwei-Grad-Ziel ernst und ergreift bestimmte Maßnahmen oder man macht weiter wie bisher. Einen Kompromiss gibt es da eigentlich nicht.
Andreas Kuhlmann: An radikalen Konzepten mangelt es uns nicht. Wir haben hingegen einen Mangel an der konsequenten Anwendung. Verzicht und technologischer Fortschritt dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Niko Paech: Wenn Neubau oder nicht nachhaltige Wohnformen mit einer besseren Technologie gerechtfertigt werden, führt das zu einem psychologischen Rebound-Effekt. Lieber null Hektar oder sogar minus fünf.
Schlussrunde
Was bedeutet all das, was wir heute diskutieren, zur Folge für die Architekturqualität? Wie sieht die Qualität der Architektur aus, die daraus resultiert? Wie können wir die Architekturqualität verbessern?Felix Creutzig: Es gibt ein neues Potenzial für neue Design-Möglichkeiten.
Andreas Kuhlmann: Ganzheitliches Denken ist besonders wichtig. Bitte arbeiten Sie stark zusammen, mit Stadtplanern, Technikern und anderen Beteiligten.
Andrea Gebhard: Daraus resultiert der Aufruf zu einer besseren Gestaltqualität, die durch interdisziplinäre Zusammenarbeit erreicht wird.
Niko Paech: Architekteinnen und Architekten, die Teil der Lösung sein wollen, müssen Lebensstilberatende sein und die CO2-Bilanz ihrer Klientinnen und Klienten analysieren. Wo gibt es Einsparpotenziale? Planende müssen zu Moderatorinnen, Moderatoren, Mediatorinnen und Mediatoren werden.
Sabine Djahanschah: Nur das, was wir lieben und wertschätzen, wird langfristig genutzt
- Panel 6.2: Lang nutze das Haus – Noch zu retten oder weg damit?
-
Auf dem Panel:
Prof. Dr. Lamia Messari-Becker, Universität Siegen, Prof. Christoph Mäckler, Mäckler Architekten, Deutsches Institut für Stadtbaukunst, Christian Kühn, MdB, Bündnis 90/Die Grüne, Prof. Martin Haas, haascookzemmrich STUDIO205Moderation:
Monika Remann, Agentur für nachhaltiges BauenHier können Sie sich das Panel im Film anschauen.
Essenz:
- Graue Energie muss im GebäudeenergiegesetzGEG Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung Erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden (GEGGEG Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung Erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden) verankert werden: Gebäude-Ressourcen-Gesetz.
- Umfangreicher Bewertungsmaßstab für Neubauvorhaben.
- Weg von der Quantität, zurück zur Qualität: Baukultur stärken und baukulturelle Ressourcen nutzen.
- Panel 6.3: Konzept, Material, Verantwortung – Was hinterlassen wir der nächsten Generation?
-
Auf dem Panel:
Muck Petzet, Muck Petzet Architekten, Prof. Martin Rauch, Lehm Ton Erde Baukunst, Sybille Benning, MdB, CDU, Claudia Langer, GenerationenstiftungModeration:
Monika Remann, Agentur für nachhaltiges BauenEssenz:
- Kostenwahrheit abbilden: Die Folgekosten der Klimakrise zu tragen ist teurer, als deren Vermeidung.
- CO2-Steuer erheben.
- Appell für „Architects for Future“.
- Rückbesinnung zum Fortschritt.
Bericht:
Im Vordergrund standen die Themen Ressourcennutzung, umweltschonende Baumaterialien und der Suffizienzgedanke. Die Panellistinnen und Panellisten waren sich einig, dass ein energieeffizienter Lebensraum durch das Senken des Lebensstandards erreicht werden kann. Nicht ein ständiges Wachstum, sondern die Rückentwicklung und die Besinnung auf fundamentale Bedürfnisse sind zur Unterstützung des Klimaschutzes anzustreben.Die Kernfragen “Sind wir architects for future?” und “Wie radikal können Architektinnen und Architekten sein?” dienten als Leitfaden der Diskussion, unter dem beleuchtet wurde, inwieweit Architektinnen und Architekten einen transformativen, zukunftsfähigen und proaktiven Beitrag zum Klimaschutz leisten können und müssen. Architekten und Architekten bauen die Zukunft mit. Da Architektinnen und Architekten Realitäten gestalten, sollten sie sich, so wurde betont, nicht nur kämpferischer für den Klimawandel, sondern auch für die soziale Ungleichheit einsetzen, da beides Hand in Hand ginge. Architektinnen und Architekten schaffen Lebensräume, deren Ziel es auch sein sollte, das Bewusstsein der Bevölkerung für den Klimawandel zu schärfen. Ziel ist es, Konzepte für nachhaltige, sozialere Städte und eine zukunftsweisende Mobilität zu entwickeln. Die Politik ist verantwortlich dafür, dies zu unterstützen, so die Diskutierenden.
Diskutiert wurde auch, welche Daseinsberechtigung Bestandsgebäude in unserem Lebensraum haben und wie mit ihnen umgegangen werden muss. Gebäude könnten für eine langfristige Lebensdauer saniert werden, um sie im Laufe ihres Lebenszyklus an verschiedene Anforderungen anzupassen. Billig abzubrechen ist kontraproduktiv. Neubau sollte die absolute Ausnahme sein und nur zulässig mit low-impact Materialien. Der Einsatz von traditionellen, ökologischen Materialien, wie z.B. Lehm, ist zu favorisieren. Rückbesinnung dient dem Fortschritt. Reuse, Recycling und Ressourcenwende sind der Ausgangspunkt zum Klimaschutz. Baustoffe müssen stärker auf ihre Nachhaltigkeit überprüft, innovative Techniken gefördert und bestehende Normen dahingehend evaluiert werden, inwieweit sie die Nachhaltigkeit unterstützen. Der Gedanke, ausländische und heimische Materialien unterschiedlich zu bepreisen, um lange Transportwege zu verhindern, wäre zu vertiefen.
Die Teilnehmenden kritisierten zudem die Bildungspolitik, die es ihrer Meinung nach versäumt hat, die notwendigen Fachkräfte, die für den Bau von nachhaltigen Gebäuden benötigt werden, auszubilden. Die Kultur des Bauens, der Stand eines Handwerkenden ist negativ behaftet, was dazu führt, dass unqualifizierte Facharbeitskräfte am Bau tätig sind.