2. Baukultur – Prägen: Identität und Haltung: Wer wollen wir gewesen sein?
- Panel 2.1: Ein Blick zurück – Was wird uns die Vergangenheit bringen?
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Auf dem Panel:
Ayhan Ayrilmaz, Stiftung Preußische Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg,
Berhard Mensen, Mensen + Zora ArchitektenModeration:
Julian Latzko, Bundesstiftung BaukulturEssenz:
- Ohne Erinnerung gibt es keine Kultur.
- Baukulturelle Bildung ist ein zentraler Hebel zum Erhalt der Denkmäler und ihrer Pflege.
- Bau- und Denkmalkultur darf sich nicht Rentabilitätsaspekten unterwerfen.
- Denkmalschutz und -pflege sind Klimaschutz. Graue Energie muss erhalten und weiterentwickelt werden.
Bericht:
Bernhard Mensen ist Architekt in Bochum und übernimmt viele Projekte im Denkmalschutz. Baudenkmäler sind für ihn vergleichbar mit der DNA von Baukultur. Ayhan Ayrilmaz sieht beim Denkmalschutz zwei neue Komponenten hinzukommend, die bisher nicht so relevant waren: Ertüchtigung im Hinblick auf den Klimawandel und die Umnutzung mit einer erhöhten Nutzungsanforderung (demografischer Wandel, Barrierefreiheit). Eine weitere Herausforderung ist das Fehlen von Fachkräften. Früher gab es zu wenig Geld, heute gibt es genug Geld, aber zu wenig Fachkräfte. Das liegt auch daran, dass der Spezialisierungsgrad der Ausbildung vorangeschritten ist. Für viele angehende Architektinnen und Architekten scheint Denkmalschutz als Berufsfeld nicht sehr attraktiv zu sein. Daher sollte die Attraktivität des Berufsfeldes aktiv kommuniziert werden, um angehende Architektinnen und Architekten von einem Engagement im Denkmalschutz zu überzeugen.Mögliche Schwierigkeiten durch Vorgaben (DINDIN Deutsches Institut für Normung-Normen) bei der Arbeit im Zusammenhang mit Denkmalschutz sind überbewertet. Ayhan Ayrilmaz kann diese Sichtweise aus der eigenen Praxis nicht bestätigen.
Frage: Drei Prozent der Gebäude in Deutschland stehen unter Denkmalschutz. Sollte der Anteil höher sein?
Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat gerade die „Abrissfreiheit“ per Gesetz ausgeweitet. Es gibt einen Hang zum exemplarischen Denkmalschutz. Dabei werden in Umfragen Zustimmungswerte von bis zu 80 Prozent für die historische Rekonstruktion von Gebäuden erreicht. Gleichzeitig ist das Image des Denkmalschutzes nicht durchweg positiv. Denkmalwerte kann man nur rückblickend erkennen. Ohne Erinnerung gibt es keine Kultur. - Panel 2.2: Architektonische Identität – In welchem Stile wollen wir bauen?
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Auf dem Panel:
Prof. Anne Beer, Beer Bembé Dellinger Architekten und Stadtplaner, Jürgen Mayer H., J. MAYER H. und Partner, Prof. Gesine Weinmiller, Weinmiller Großmann Architekten, Max Otto Zitzelsberger, ArchitektModeration:
Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung BaukulturEssenz:
Unsere pluralistische Gesellschaft braucht qualifizierte Sprachen der Architektur, aber keinen epochalen Stil.
An Stelle der Stilfrage tritt eine Qualitätsdebatte auch im Sinne der Nachhaltigkeit.
Gegenwartsarchitektur wird geprägt durch Bauweisen, Materialien (mehr Holz) und mehr Bestandsbauten.
Gestaltungsreferenzen entstehen heute sowohl in der Stadt als auch auf dem Land (das ist neu).Bericht:
Die Ausgangsfrage „In welchem Stile wollen wir bauen?“ wurde vom Podium im Vergleich mit anderen Themen als weniger relevant erachtet. Es wurde festgestellt, dass die pluralistische Gesellschaft, in welcher wir leben, zwar eine qualifizierte Sprache der Architektur, aber keinen epochalen Stil benötigt. Daher trat an die Stelle der Stilfrage eine Qualitätsdebatte, auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Anne Beer sagte: „Bei der Entwicklung von Konzepten für Gebäude treiben uns eher der gemeinsame Prozess und die Materialfrage an als der Stil. Wichtig für ein gutes Ergebnis ist meiner Meinung nach weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit den Auftraggebern und eine differenzierte Diskussion über die Vorstellungen, Ansprüche und Wünsche.“Jürgen Mayer H. hingegen betonte, dass seine Herangehensweise an Architektur von der Kunst herrühre. Doch die architektonische Verführungskraft entstünde im Individuellen Prozess. Jede Architektin und jeder Architekt trage ohnehin seine eigene Handschrift. Allerdings stehe dieser Anspruch natürlich auch in Abhängigkeit zur Funktionalität und Finanzierbarkeit. Einen starken Kontrapunkt formulierte Max Otto Zitzelsberger: „Architektur spielt meiner Meinung nach im Gesellschaftskontext keine Rolle mehr. Denn es interessiert einfach niemanden, was gebaut wird. Architektonisch bleibt nichts, da die breite Masse mehr an Technik interessiert ist. Daher ist die Frage nach dem Stil schon egal.“ Auch Gesine Weinmiller sieht die aktuelle Problematik nicht in einer Stildebatte, sondern viel mehr in den heutzutage verwendeten, günstigen und ökologisch fragwürdigen Baustoffen.
Von diesen Standpunkten ausgehend, ist die Gegenwartsarchitektur hauptsächlich durch Bauweisen, Materialien und mehr Bestandsbauten geprägt. Wegweisende Gestaltungsreferenzen hierfür entstehen heutzutage sowohl in der Stadt als auch auf dem Land. Für alle am Podium beteiligten Planenden und Baukulturschaffenden standen eine ressourceneffiziente und nachhaltige Bauweise im Vordergrund.
- Panel 2.3: Zwischen Haltung und Zwängen – Wie bleiben Planer unabhängig?
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Auf dem Panel:
Prof. Markus Bader, raumlabor, Nanni Grau, Hütten & Paläste, Mechthild Heil, MdB, Ausschuss für Bau, Wohnen, Stadtentwicklung und Kommune im Bundestag, Jan Musikowski, Richter Musikowski ArchitektenModeration:
Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender Bundesstiftung BaukulturEssenz:
- Architektur kann nie unabhängig sein, sondern ist immer eingebettet in gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen.
- An die Stelle von Unabhängigkeit tritt Selbständigkeit im Denken und Handeln.
- Experimente und innovative Ansätze müssen durch die Politik stärker gefördert werden.
- Architektinnen und Architekten sind auch Dienstleister – allerdings in erster Linie gegenüber der Gesellschaft.
Bericht:
Mechthild Heil: Sie ist selbständige Architektin und Bundestagsabgeordnete – wie unabhängig ist man dabei? Sie lebt so mit dem Vorwurf der Bestechlichkeit. Im Bundestag liegt der Fokus eher bei den Juristinnen und Juristen, nicht bei den Architektinnen und Architekten, diese werden vielmehr als Teil des Problems gesehen, nicht als Teil der Lösung. Architektur werde nicht automatisch mitgedacht. Aktuelles Thema derzeit: Bauen, bauen, bauen. Ein eigenes Bauministerium gibt es wieder nicht, das Thema ist bei Verkehr und Inneres angesiedelt. Daher die Empfehlung: Architektinnen und Architekten sollten sich auch politisch einsetzen – „einmischen“!Nanni Grau: Beim Bauen mit einer Genossenschaft gibt es viele Variablen. Man muss Festlegungen beim Planen und Bauen treffen und darüber Unabhängigkeit entwickeln. Experimente sind wichtig.
Prof. Markus Bader: Impulse setzen durch Experimente. Räume schaffen! Architektur kann nie unabhängig sein, ist immer tief eingebettet in gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen. Architektur ist gemeinsam zu entwickeln – urbane Praxis und Raumplanung als Teil der Gesellschaft. Architektur ist kein Heilsbringer. Planer sollten ihre Handlungsmacht einsetzen. Selbständiges Denken und Handeln ist wichtig – wie begreift man seine Rolle? Architektur ist kein „Produkt“ – und deshalb ist eine reine Dienstleisterhaltung nicht angebracht.
Jan Musikowski: Mit einem Projekt wird eine Aufgabe gestellt. Die Architektin ider der Architekt entwickelt ihr/sein Potenzial und muss die Idee dem Bauherren schmackhaft machen: „Ein großer Kampf, bei dem man wach sein muss“. Dabei muss man immer partnerschaftlich agieren, immer den Dialog suchen („Dialogkultur“).
Kann Politik Experimente und neue Lösungen fördern? Ja, z.B. durch externe Gestaltungsbeiräte, oder indem man intelligente Fragen stellt – das wird in der Runde begrüßt. Markus Bader empfiehlt, sich auf den Weg ins Unbekannt zu machen, man sollte auch scheitern können (raumlabor). Was kann man mit Fördermitteln erreichen?
Hier wurde der Wunsch an die Politik formuliert, Rückendeckung für Experimente zu bekommen, kreative Ideen und riskante Umsetzungen anzugehen: Experimentierklauseln oder Bestandsklauseln einführen versus den Dschungel von Vorschriften. Aus dem Publikum ergänzt Christine Edmaier: Die Situation in Berlin mit der Wohnungsnot und dem GebäudeenergiegesetzGEG Gesetz zur Einsparung von Energie und zur Nutzung Erneuerbarer Energien zur Wärme- und Kälteerzeugung in Gebäuden erfordere, erst gute Prototypen zu entwickeln mit Modellcharakter. Sie begrüßt eine Experimentierklausel – neues probieren sollte möglich sein. Jan Musikowski betont, der Nährboden für Experimente sollte politisch organisiert werden, dies sollte kontinuierlich betrieben werden.Die Runde hinterfragt die IBA mit ihrem experimentellen Charakter, dazu werden Erfahrungen ausgetauscht. Ein wichtiges Thema sei das Verhältnis zwischen Auftraggeber und Planer. Was erwarten Bauherren vom Planer? Jan Musikowski beschreibt den „Kampf“ mit dem Bauherren über Material und Qualität. Die Architektinnen und Architekten und Planenden sollten hier auch Grenzen aufzeigen und „Haltung“ zeigen – notfalls den Auftrag lieber nicht annehmen. Mechthild Heil bestätigt, die Architektinnen und Architekten sollten sich auch mal durchsetzen und Überzeugungskraft haben, wo möglich aber auch Zugeständnisse machen.
Das Budget zum Bauen ist vorgegeben. Darum muss man erst einmal kämpfen. Empfohlen wird, sich mit dem Bauherren schon frühzeitig über übergeordnete Ziele und Werte zu verständigen und dies auszuhandeln und festzuschreiben („Haltung“). Aus dem Publikum werden noch die Themen Durchlässigkeit und Nachwuchsförderung sowie Innovation angesprochen. Architektinnen und Architekten und Planende sind Angehörige der freien Berufe und Dienstleister – aber in erster Linie gegenüber der Gesellschaft und nicht gegenüber dem Bauherren, sie seien dem Gemeinwohl verpflichtet. Angemerkt wird, dass Architektinnen und Architekten schlecht bezahlt seien für die hohe Verantwortung, die sie tragen. Jan Musikowski bestätigt dies, Auftraggeber hätten oft kein Bewusstsein für Stundenlöhne im Vergleich z.B. zum Handwerk.