Planbarkeit von Stadt und Land
- Panel 5.1: Die richtige Mischung – Wem gehört der Boden?
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Auf dem Panel:
Stefan Forster, Stefan Forster Architekten, Heidrun Bluhm, MdB, Die Linke, Daniel Föst, MdB, FDP, Prof. Stefan Rettich, Universität Kassel, Claudia Tausend, MdB, SPDModeration:
Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer AKNWAKNW Architektenkammer Nordrhein-WestfalenEssenz:
- Forderung: Klares Bekenntnis zur Sozialpflichtigkeit gem. § 14 Grundgesetz. Vollzug verbessern!
- Instrumente:
- Gemeinnützigkeit reformieren
- Kommunen finanziell entlasten und handlungsfähiger machen
- Planwertausgleich, Spekulationsdeckel
- BauGB Novelle (besonders Städtebaurecht)
- Bau NVO und Bauverordnungen reformieren
- Ausgleich Stadt/ Land, urbane Räume vor Überlastung schützen: Entlastungsstrategie!
- Panel 5.2: Wohnungsbau – Wie funktioniert städtische Nachverdichtung?
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Auf dem Panel:
Prof. Dr. Christine Hannemann, Universität Stuttgart, Prof. Ulrike Böhm, bbzl böhm benfer zahari landschaften städtebau berlin, Universität Stuttgart, Prof. H. P. Ritz Ritzer, bogevischs buero – Architekten & Stadtplaner, Beuth-Hochschule Berlin, Tim von Winning, Bürgermeister Stadt UlmModeration:
Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer AKNWEssenz:
- Weiterentwicklung bestehender Quartiere.
- Gesamtgesellschaftliche Bedeutung vermitteln für mehr Flexibilität.
- Dreifache Weiterentwicklung, in der Verkehrsräume als Potential mitgedacht werden.
- Baurechtlichen Rahmen weiterentwickeln (Bau NVO novellieren).
Bericht:
Zunächst einmal mit einem besseren Wording: Statt dem bei der Bürgerschaft stets Protest hervorrufendem Nachverdichten sollte künftig besser von der Weiterentwicklung bestehender Quartiere gesprochen werden. Außerdem empfiehlt es sich, für die dort bereits lebenden Menschen dabei einen Mehrwert zu generieren: Die sozialen Strukturen sind nicht nur zu erhalten, sondern auch zu verbessern und der öffentliche Raum aufzuwerten. Genaugenommen handele es sich um eine dreifache Innenentwicklung, denn neben der Neunutzung von ehemals bebauten Flächen und der Optimierung von Freiflächen ließen sich auch die Potenziale von Verkehrsräumen nutzen. Innovationen und Kreativität sind hierbei vor allem bei den Architektinnen und Architekten und Stadtplanerinnen und Stadtplaner gefragt. Und trotz der vorhandenen baurechtlichen Rahmenbedingungen sollte das Instrumentarium dringend an die städtebaulichen Ziele angepasst werden. Die Novellierung der Baunutzungsverordnung sei zwingend und Überzeugungskraft allenthalben erforderlich.Soweit das Resümee des Forums. Doch was war den Teilnehmenden noch wichtig? Zum einen kam die Frage auf, was eine Wohnungsnot sei, wenn beinahe jeder/jedem 45 Quadratmeter zur Verfügung stünden? Und haben wir tatsächlich eine Wohnungsnot, wenn 1,5 Millionen neu zu bauender Wohnungen 2 Millionen leerstehende gegenüberstehen? Dem entgegen stehen die Fragen: Wie frei sind die Menschen in ihrer Wohnortwahl und wie weit darf man sie bevormunden? In der Politik herrsche eine große Diskrepanz zwischen „Überschriften und was man an Veränderung mag“. Planen (und Stadtentwicklung) sei demnach die Suche nach Lösungen bei nicht vorhandenem Konsens. Am Ende der Diskussion wünschte sich
- Ritz Ritzer die europäische Stadt zu bewahren und bei der Weiterentwicklung auf die kritische Größe zu achten,
- Christiane Hannemann nicht nur die Ökoverträglichkeit zu prüfen, sondern auch die Sozialverträglichkeit,
- Ulrike Böhm niedrigschwellig aneignungsfähige (Frei-)Räume zu erhalten und
- Tim von Winning starke Personen und Institutionen für hoheitliches Handeln, da die Marktwirtschaft nicht alles schafft.
- Panel 5.3: Mobilität, Logistik, Infrastruktur – Wie gelingt intelligente Vernetzung?
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uf dem Panel:
Prof. Dr. Heiner Monheim, raumkom, Prof. Elke Pahl-Weber, Technische Universität Berlin, Peter Haimerl, Peter Haimerl . Architektur, Barbara Ettinger-Brinckmann, Präsidentin BAKBAK BundesarchitektenkammerModeration:
Markus Lehrmann, Hauptgeschäftsführer AKNWEssenz:
- Dezentrale Konzentration als Leitbild für Vernetzung von Stadt und Land.
- Intelligente Organisation der Mobilität.
- Intelligente Vernetzung heißt: Angebote schaffen aus Kultur, Wohnen und Arbeiten.
- Stadt-Land-Gefälle bei Kultur (und Architektur) überwinden. Land braucht kulturelle Impfung.
- Zukunft liegt auch in der Digitalisierung. Breitbandnetze sind Daseinsvorsorge.
Bericht:
Frage: Wachstum und Schrumpfung existieren heute dicht beieinander. Gibt es den klassischen Dualismus Stadt vs. Land noch? Sind das vielleicht eher Lebensgefühle?Heiner Monheim: Das Bild ist differenzierter. Es gibt drei Typen von ländlichem Raum:
- Ballungsraumnahe Räume
- Touristisch geprägte Räume
- Periphere Räume
Das traditionelle Bild vom Land (auch in den Medien) ist falsch. Deutschland besteht vor allem aus historisch gewachsenen Klein- und Mittelstädten. Schrumpfung passiert nicht ins Nirgendwo und nicht nur in die Metropolen, sondern in diese Klein- und Mittelstädte. Viele von ihnen sind wirtschaftlich stark. Zudem existiert ein Austausch zwischen Stadt und Land: Stadtbewohnende suchen Erholungswert im ländlichen Raum („System kommunizierender Röhren“)
Barbara Ettinger-Brinckmann: Ländlicher Raum gilt als Entlastungsraum. Klein- und Mittelstädte werden als attraktiver beurteilt als die Metropolen. Auch als Wohnort ist das „Land“ gewünscht (Befragung für Baukulturbericht).
Frage: Ist die Forderung nach gleichwertigen Lebensbedingungen realistisch? Ist sie überhaupt wünschenswert?
Elke Pahl-Weber: Unbedingt. Die politische Stärkung radikaler Parteien zeigt das. Darüber hinaus stehen die gleichwertigen Lebensbedingungen im Grundgesetz. Dazu gehört auch eine flächendeckende Einführung des 5G-Netzes. Da hat es zum Glück innerhalb weniger Monate einen politischen Umschwung gegeben. Zahlreiche wichtige Industriebetriebe („Hidden Champions“) haben ihren Sitz in ländlichen Gegenden. Arbeitsplätze müssen gehalten werden. 5G wäre aber eigentlich eine staatliche Aufgabe und nicht eine von konkurrierenden Privatunternehmen.
Peter Haimerl: Auch im Bayerischen Wald gibt es viele große Hightech-Firmen. Durch die Struktur der EUEU Europäische Union-Agrarsubventionen ist das Kleinbauerntum ausgestorben. Jugendliche auf dem Land haben nichts mit ihrem Ort zu tun, leben wie in der Stadt: Smartphone, Youtube etc. Gleichzeitig ist der Lebensstandard auf dem Land höher: Eigentum, Einfamilienhaus, geringere Fixkosten, günstigere Lebenshaltung. Aber: Es gibt ein Stadt-Land-Gefälle bei Kultur (und Architektur). Das Land braucht eine kulturelle Impfung (Konzerthaus Blaibach). Eine generelle Beobachtung ist: Die Menschen warten auf neue Ideen, künstlerische Konzepte. Dabei muss man aber die Menschen mitnehmen und in die Offensive gehen. In Blaibach waren anfangs zwei Bürgerinitiativen gegen das neue Konzerthaus.
Ein aktuelles Projekt in Mittelfranken zeigt ähnliches. Auf einen Abriss im Zentrum folgt der ungewöhnliche und innovative Neubau eines 3D-gedruckten Hauses. Aber 23 von 25 Stadträten konnten überzeugt werden.Barbara Ettinger-Brinckmann: Kassel war beispielsweise zur Zeit der innerdeutschen Grenze Zonenrandgebiet. Hier wurde Ende der 1960er die bewusste Entscheidung getroffen, eine Universität zu gründen. Diese hat als Motor gewirkt, der sich heute auszahlt: Kassel ist ein wichtiger Wissenschafts- und Industriestandort.
Heiner Monheim: Es war eine gute Entscheidung, die Hochschullandschaft zu dezentralisieren. Dies hatte positive Effekte auf ie Qualifikation in den Regionen.
Frage: Wie verhält es sich mit Verkehr und Boden?
Heiner Monheim: Beim Verkehr ist Deutschland Entwicklungsland. Städte sind nicht intelligent vernetzt, weil der Verkehr nur auf das Auto fokussiert ist. Es war ein Fehler, dass Bahnstrecken stillgelegt wurden und der Güterverkehr per Bahn zurückgedrängt wurde. („Unwesen von Hartmut Mehdorn“)
Es gibt innovative Regionen mit einem ÖPNV-Anteil von 20% (wie in der Großstadt). Die Schweiz bietet ein positives Beispiel. Hier verlangt der Gesetzgeber, dass der Weg von jeder Alm zum nächsten Bahnhof maximal eine Stunde betragen darf. Die Verkehrswende muss im ländlichen Raum beginnen. Dort ist es auch einfacher, weil die Strukturen überschaubar sind und die Verwaltung ihre Bürgerinnen und Bürger kennt. Außerdem muss das Städtenetz ausbildet werden. Beispiele zeigen eine starke Steigerung der ÖPNV-Fahrgäste (100.000 auf 2 Mio.), gebremst werden die großen Konzepte meist durch die Gesetzgebung. Beispielsweise die Stellplatzordnung etc. Aber es gibt zahlreiche Innovationen auf kommunaler Ebene, trotz gleicher Regeln.Idee: Unterstützenswert ist die Kombination von Güter- und Personenverkehr, wie es früher zum Beispiel beim Postbus der Fall war. Als Vorbild können hier Skandinaviens Kombibusse dienen. In Deutschland ist dies jedoch heute gesetzlich nicht möglich.
Woran hakt es? Wir wollen es nicht anders, „wollen Stauland sein“, haben eine „Autokanzlerin“ („Deutschlands erfolgreichstes Exportgut: Stau!“).
Nicht ÖPNV ist hoch subventioniert, sondern (indirekt) das Auto. Eine realistische Rechnung zeigt: Der Autoverkehr kostet 160 Mrd. Euro pro Jahr, inklusive Verkehrsunfälle, Belastungen durch Autos etc. Dieses Geld muss umverteilt werden! Dank „Fridays for Future“ kommt es jetzt endlich zu einem Umdenken.Barbara Ettinger-Brinckmann: Das Auto nimmt wertvollen Boden weg und führt zu übermäßiger Versiegelung. Aber im ländlichen Raum ist es mitunter die einzige Möglichkeit zur Teilhabe. Der ländliche Raum kann nicht alle Funktionen haben, aber alle haben das Recht auf Teilhabe: Wir brauchen also Alternativen zum Auto: Das Schienennetz muss ausgebaut, die Taktung verdichtet werden, es muss logische und günstige Tarife geben. Die Bundesarchitektenkammer fordert eine „Dezentrale Konzentration“, bei der die Innenentwicklung der Ortskerne Vorrang vor neuen Baugebieten hat.
Elke Pahl-Weber: Man denkt, auf dem Land herrsche ein schonender Umgang mit den Ressourcen. Aber das Gegenteil ist der Fall. In Sachen Klimaschutz und Bodenverbrauch herrscht dort ein schlechter Umgang. Weniger die Politik als die Gewerkschaften sind die Fürsprecher für Autos der Arbeitsplätze halber. Erst langsam beginnt ein Nachdenken, wie sich diese Arbeitsplätze durch E-Mobilität etc. verändern können.
Eine Empfehlung ist es, sich eine App zu besorgen, die den CO2-Ausstoß des eigenen Alltags und der Mobilität errechnet. Diese hat einen erschreckenden und dadurch einen erzieherischen Effekt. Der Reflex „ja gerne, aber nicht bei mir“ muss überwunden werden. Menschen müssen direkt erreicht und überzeugt werden. Dies ist ein zeitintensiver Kommunikationsprozess, der sich aber auszahlt. Die „Werthaltung“ der Menschen muss sich verändern. Hierzu gibt es auch das Projekt der TU Berlin „Urban Design Thinking“, mit Mobilitätskonzepten auf Quartiersebene in Charlottenburg.
Die Raumordnung in Deutschland ist eine Katastrophe. Die zuständigen Ministerien ziehen nicht an einem Strang, ebenso wenig Bund und Länder. Expertise kann von außen geholt werden, z.B. aus Dänemark.
Peter Haimerl: Wir müssen europäisch denken. Die Veränderungen auf unterer Ebene sind zu klein. Ein Beispie sindl fahrradfreundliche Städte. Diese sind immer nur Einzelfälle.
Publikum: Mehrgewinne der Verkehrswende müssen sichtbar gemacht werden. Vorteile entstehen durch den Wegfall der Flächen für das Auto.
Frage: Wie verhält es sich mit dem Baukindergeld? Im ländlichen Raum ist es gleich hoch wie in Köln. Ist das gerecht?
Barbara Ettinger-Brinckmann: Es muss dabei baukulturelle Auflagen geben.