
Architektur und Städtebau in der Demokratie
- Panel 1.1: Urbanität und Demokratie – Wie lassen sich Vorgaben ändern?
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Auf dem Panel:
Roland Gruber, nonconform, Reiner Nagel, Bundesstiftung Baukultur, Prof. Dr. Tatjana Schneider, Technische Universität Braunschweig, Ruth Schagemann, Architektenkammer Baden-Württemberg, Architects’ Council of Europe (ACEACE Architects’ Council of Europe Conseil des Architectes d’Europe)Moderation:
Dr. Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer BAKBAK BundesarchitektenkammerEssenz:
Ohne Diskurs, ohne Dialog und Beteiligung hat Architektur keine Relevanz.
Bürgerbeteiligung ist für Legitimität und Transparenz in der Planung wesentlich.
Bürgerbeteiligung muss Spaß machen, eine gute Atmosphäre bieten, lebendig sein.
Locker bleiben, ergebnisorientiert arbeiten mit Blick auf die Zukunft und auf die Kinder.Bericht:
Das Panel war sich einig, dass die Änderung von Vorgaben für den Berufsstand über Haltung einnehmen und Einflussnehmen geschieht.Urbanität und gute Baukultur erfordern Transparenz und Legitimität. Dies ist demokratisch und entspricht dem Grundsatz der Gewaltenteilung und einer guten Verwaltung. Hierzu gehört auch eine rechtzeitige Bürgerbeteiligung, die sehr breit angelegt sein sollte. Wenn man nur unmittelbar Betroffene oder direkte Anwohnende fragt, gibt es keine Entscheidung zugunsten von Vorhaben, da niemand ein neues Vorhaben im Hinterhof möchte (not in my backyard). Dabei ist eine auf Fakten beruhende und versachlichte Debatte wichtig.
Bürgerbeteiligung erfordert viel Zeit und gute Vorbereitung, sie macht also viel Arbeit. Auch die Atmosphäre bei den Debatten ist nicht zu unterschätzen: Die Diskussion darf nicht zu langatmig sein, sondern muss Laune machen. Man braucht Werkstattatmosphäre.
Letztlich sind eine gute Moderation und die ergebnisorientierte Arbeit des Berufsstands wichtig, nicht nur das reine Planen von Bauwerken. Dies sollte auch in die Ausbildung der Architektinnen und Architekten einbezogen werden.
Ohne Diskurs ist Architektur nicht relevant. Nicht verzweifeln!
- Panel 1.2: Leitbild Europäische Stadt – Was bewirken Davoser Erklärung und Leipzig Charta 2.0?
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Auf dem Panel:
Barbara Gessler, Europäische Kommission, Sandra Krinner, Sandra Krinner Architektur, Ministerialrätin Gabriele Kautz, Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat, Robert Ivy, American Institute of Architects (AIA), Georg Pendl, Präsident Architects’ Council of Europe (ACE)Moderation:
Dr. Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer BAKEssenz:
- Das kulturelle Erbe Europas muss weiterentwickelt werden.
- Die Leipzig Charta 2.0 und die Erklärung von Davos zur Baukultur sind Werkzeugkästen.
- Wir haben die Verpflichtung, den Bestand der historischen Stadt weiterzuentwickeln.
- Wir lernen voneinander.
Bericht:
Die Panellistinnen und Panellisten diskutierten zunächst über ihr Verständnis der europäischen Stadt: Von welcher Stadt sprechen wir, welche Kriterien machen sie aus? Es bestand Einigkeit, dass das Konzept der europäischen Stadt auf einer Durchmischung von Funktionen beruht. Als weiteres Kriterium wurde die Offenheit dem Fremden gegenüber herausgestellt. Die europäische Stadt ist eine Stadt für alle. Sie vereint eine Vielfalt von sozialen, kulturellen und ethnischen Gruppen. Diese Werte und Funktionen gilt es, aufrechtzuerhalten.Daran anknüpfend wurde über die europäische Identität gesprochen. Die Panellistinnen und Panellisten hoben hervor, dass Kultur ein wichtiges Element der europäischen Identität ist. Das kulturelle Erbe Europas muss daher erhalten und weiterentwickelt werden. Baukultur steht für die Qualität der gebauten Umwelt und für die Stadt als gewachsene Struktur und Ort der Begegnung. Sie ist ein wesentlicher Bestandteil der nachhaltigen Stadtentwicklung. Der historische Bestand einer Stadt muss so weiterentwickelt werden, dass er den heutigen Vorstellungen des städtischen Zusammenlebens entspricht. Bei Baukultur geht es auch um das Bauen des Alltags und eine Architektur, bei der der Mensch im Mittelpunkt steht.
Es wurde erörtert, wie das Konzept der europäischen Stadt in der Neuauflage der Leipzig Charta 2020 und der Davos-Erklärung für eine hohe Baukultur von 2018 weiterentwickelt wird, und wie diese Texte in der Praxis konkrete Anwendung finden. Die Panellistinnen und Panellisten betonten die Bedeutung beider Texte als Basis, auf welche sich Entscheidungsträgende auf kommunaler Ebene berufen können. Die Leipzig-Charta und die Davos-Erklärung können als Werkzeugkästen mit Argumenten für eine nachhaltige Stadtentwicklung und hohe Baukultur angesehen werden. Bei der Neuauflage der Leipzig-Charta werden aktuelle Herausforderungen wie der Umgang mit Migration, Mobilität, Klimawandel und Digitalisierung aufgenommen. Der Austausch unter den europäischen Mitgliedsstaaten über die Prinzipien und Ziele für eine nachhaltige Stadtentwicklung ist wichtig. So wird eine gemeinsame Basis geschaffen.
Aus dem Publikum wurde die Bedeutung des öffentlichen Raums als Ort der Begegnung thematisiert. Die Öffentlichkeit muss besser über Texte wie die Leipzig-Charta und die Davos-Erklärung informiert werden. Wir können in Europa voneinander lernen.
- Panel 1.3: Entwicklung und Partnerschaft – Wie sieht internationale Hilfe aus?
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Auf dem Panel:
Anna Heringer, Studio Anna Heringer, Michael Grausam, humantektur, Lars Krückeberg, GRAFT, András Szekér, Habitat for Humanity DeutschlandModeration:
Dr. Tillman Prinz, Bundesgeschäftsführer BAKBericht:
Moderation: Wir diskutieren heute Nachmittag ein ziemlich spezielles Thema, das ganz unterschiedliche Aspekte aufweist – von der Bautechnik über soziale Frage bis hin zu historisch-interkulturellen Fragestellungen. Zu Beginn eine Frage an das Auditorium: Warum sind Sie hier?Antworten:
Ich könnte mir vorstellen, international in Hilfsprojekten zu arbeiten.
Nichts ist so konfliktbeladen wie internationale Hilfe. Ich will gerne wissen, wie die Erfahrungen sind.
Wie können wir unsere Kenntnisse anderen zur Verfügung stellen?
Ich hatte das Thema im Studium und war selbst mit den Grünhelmen in Afrika aktiv. Das ist für mich wie ein Realitätscheck. Wie erleben das Architektinnen und Architekten heute? Wie kann architektonische Entwicklungshilfe nachhaltig sein?
Ich bin Teil einer Studenten-Diskussionsgruppe zu dem Thema. Wir fragen uns, wie der „weiße Mann“ erfolgreich und ohne falsche Attitude vor Ort auftreten und helfen kann.Anna Heringer:
Ich war ein Jahr in Bangladesch nach dem Studium. Das Wichtigste ist, sich auf lokale Ressourcen und Potenziale zu konzentrieren. Sieben Jahre später haben wir eine Schule dort gebaut und dabei doch den Fehler gemacht, ein quasi fertiges Projekt vorzuschlagen und die Lokalen lediglich als Arbeitskräfte einzubinden. Aber: Die Schule ist ein Prestigeobjekt, du willst, dass sie auch toll ausschaut. Wir haben dann aber doch die Schülerinnen und Schüler in den Prozess integriert, und das Vorhaben wurde ein Erfolg: Lehm- und Bambusbau, Ziegelbau. Wir haben vier Projekte realisiert. Die Erfahrungen springen hin und her. Partnerschaften entwickeln sich langfristig.Michael Grausam:
Die richtige Perspektive muss sein: Der Partner macht, und wir werden eingebunden als Fachleute, Helfer, Partner. Nicht umgekehrt, wie es früher war. Wir beraten, aber der Planer und der Bauherr vor Ort entscheiden und setzen auch um. Wir arbeiten mit Beispielen, die wir zeigen; Fachinformationen; Erfahrungen, die wir bereitstellen können. Wir arbeiten viel für Kirchen, die schon lange (Missions-)Geschichten haben. Wir suchen nicht selbst nach Projekten oder Partnern im Ausland. GIZ und NGOs haben oft Baubüros, da kann man anfragen, wenn man sich engagieren möchte. Mit dem „Von außen helfen“ bin ich vorsichtig. Die „Gutmensch“-Haltung ist oft schwierig. Man sollte immer die eigene Perspektive kritisch hinterfragen. Es ist ja so, dass die Partner vor Ort eine Menge Wissen haben.András Szekér:
Die meisten Menschen auf der Welt bauen für sich selbst. NGOs bauen nur einige wenige Tausend Objekte im Jahr. Soviel zur Perspektive. Eine Hütte in Malawi kostet umgerechnet 25 Cent. Die zentrale Frage lautet: Wie befähigen wir die Menschen dazu, ihren Selbstbau besser zu machen? Nachhaltiger, wetterresistenter, haltbarer. Wasser, Schule, Arbeit in der Nähe: Das sind wichtige Kriterien für erfolgreiche Hilfsprojekte. Außenseiter werden die Probleme im Allgemeinen nicht lösen. Ein Weißer, der in Malawi auftaucht, erregt eher Misstrauen. Es gibt in Malawi auch eine Elite. Ich strebe in meiner Arbeit an, Prozesse der Teilhabe und der Ermöglichung zu generieren: Prozesse, die von außen gesteuert werden, erfolgreich durchzuführen und auch nachhaltig in Betrieb zu halten. Ich habe einmal sieben Brunnen gesehen, die durch Hilfsprojekte ermöglicht worden waren und allesamt aufgegeben wurden. „Befähigung“ ist vielleicht das bessere Wort als „Entwicklungshilfe“.Lars Krückeberg:
Ich möchte unsere Arbeit eigentlich nicht als „Entwicklungshilfe“ bezeichnen. Wir haben ganz unterschiedliche Dinge gemacht: Nach dem Hurrikan „Katrina“ in New Orleans haben wir 100 Häuser gebaut, ein catastrophy relief project. Wir wollten dort Häuser bauen, die als Vorbild dienen können. Wir haben auch ein Buch dazu gemacht, um die Idee zu verbreiten. Aber: Man muss in der Tat am Anfang mit allen Beteiligten klare Ziele definieren; das ist dann das Mandat, mit dem wir unsere Architektur in ein fremdes Land bringen können. Design und Schönheit ist kein Privileg der ersten Welt. Es gibt ja auch Fachwissen und Anspruch vor Ort – Beispiel: „Solarkiosk“ für Afrika, Äthiopien. Die Idee gab es schon länger, aber keiner hat es gemacht. Wir haben das mit der GIZ besprochen und das Projekt gemacht. Simple, resiliente Architektur, die nicht kaputtgehen darf – und offgrid, also nicht mit der Straße planen, die es nämlich oftmals nicht gibt (d.h.: keine Container). Später gab es eine Kooperation mit der Coca-Cola-Company, von der wir uns aber getrennt haben, als der Konzern alle Kioske branden wollte – wir waren ja stolz auf das Projekt, das haben wir uns nicht wegnehmen lassen.Wir bringen das Konzept nach Afrika und leiten unsere Partner vor Ort an, sodass sie die Kioske erfolgreich betreiben und damit Geld verdienen können: Cola kühlen, Handys aufladen, Haare schneiden. Das ist eine enorme Chance für die Leute, denn Strom ist dort ungleich teurer als hier. Architektur gestaltet hier einen business-case, und daraus erwachsen wiederum soziale Strukturen. Deshalb verstehe ich unsere Aufgabe dort nicht nur als Gestalter, sondern als Lebenshelfer. Wenn man Energie dorthin bringt, ist man immer ein willkommener Partner. Man muss das natürlich mit der Community machen; mit dem Priester, der Polizei, der örtlichen Politik. Wir haben auch viele Fehler gemacht und mussten Lehrgeld zahlen. Aber das ist o.k.
Frage: Kann Entwicklungshilfe bzw. Hilfe zur Selbsthilfe für Architekturbüros ein Geschäftsmodell sein?
Anna Heringer: Ich empfehle meinen Studentinnen und Studenten immer: ein Drittel Herzenssache, ein Drittel Brotjob, ein Drittel das Leben vereinfachen. Dann funktioniert so etwas. Auch ethisch saubere Arbeit soll vernünftig bezahlt werden (nicht nur ethisch unsaubere – Heiterkeit); das müssen wir uns klarmachen, und das muss man den Partnern klarmachen.Michael Grausam: Wenn man umsonst arbeitet, wird die Arbeit nicht wertgeschätzt. Das habe ich bei unserem ersten Projekt in Indien gemerkt. Die Arbeit wird vor Ort nicht gewürdigt, wenn sie einfach umsonst dorthin gestellt wird, weil man vor Ort sagt: Naja, ihr verdient damit etwas, uns kostet es nichts. Wir verdienen mit den Projekten heute schon Geld. Nicht üppig, aber man kann davon leben.
Anna Heringer: Ein Projekt in Simbabwe und eines in Bangladesch führte später zu einem Auftrag in Deutschland.
Michael Grausam: Wir arbeiten hier in Deutschland für Baugruppen, also auch engagierte Menschen. Die internationale Hilfsarbeit mag hier ein Argument sein, ist aber nicht ausschlaggebend.
Lars Krückeberg: Was man bei solchen Projekten zurückbekommt, ist Dank, Wärme, Anerkennung. Wir verdienen nichts mit solchen Projekten, versuchen aber, nicht allzu viel Geld zu verlieren. Wir verstehen uns aber als hybrides Büro, das beides macht. Ich will mich nicht entscheiden: Du bist zu reich, für dich baue ich nicht oder du bist zu arm, für dich baue ich nicht. Es ist komisch, dass man fast als suspekt gilt, wenn man beides macht… Wenn ich ein Vorbild benennen müsste, könnte es Oskar Niemeyer sein. Der hat auch immer spektakuläre Großprojekte für Staaten und Unternehmen gebaut, aber auch Schulen für die Favelas.
András Szeker: Wir haben Menschen in 70 Ländern im Habitat-Netzwerk und sind Vermittler. Was vor Ort geleistet wird, machen die Menschen dort. Wir stehen als Ansprechpartner für alle, die etwas in diesem Bereich tun wollen, gerne zur Verfügung.
Anna Heringer: Man bekommt auch viel zurück, das ist mir wichtig.
Frage nach der Hilfe im Nahen Osten, insbes. Syrien:
András Szekér: Dort haben wir keine Niederlassung. Wichtig ist, dass man Expertinnen und Experten vor Ort hat, die sich mit Sicherheitsfragen auskennen. Man darf sich und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht in Gefahr bringen.Frage: Wie lange begleitet Ihr ein Projekt?
András Szekér: Jedes Projekt hat eine definierte Laufzeit, und danach ziehen wir unsere Leute ab. Schon bei der Planung des Projektes wird mit den Betroffenen eine Exit-Strategie vereinbart – denn wir wollen ja „befähigen“.